Am Samstag ist der Tunnel zwischen Ólafsfjördur und Siglufjördur im Norden des Landes eröffnet worden. Ein 11,3 Kilometer langer Schal wurde während der Eröffnungszeremonie aufgehängt. Tina Bauer traf die Künstlerin Frída Gylfadóttir, die das Project organisiert hat.
Frída Gylfadóttir. Foto: Tina Bauer.
Grün-braun-grün gestreift ist das Stück Wollschal, das Frída Gylfadóttir an diesem Tag aus einem wattierten Briefumschlag zieht. „Es soll den Tunnel symbolisieren, umgeben von grüner Landschaft“, erläutert ein beiliegendes Schreiben die Farbkombination.
Manche der zwanzig Zentimeter breiten gestrickten Wollschals sind einfarbig, andere bunt, einige kunstvoll verziert oder in traditionellem isländischen Muster gestrickt.
Alle zusammen sollen einen 11,3 Kilometer langen Schal für den neuen Tunnel ergeben, der am ersten Oktober-Wochenende zwischen den Städten Siglufjördur und Ólafsfjördur auf der nördlichen Halbinsel Tröllaskagi in Island eröffnet worden ist.
Die Idee zu diesem ungewöhnlichen Mammutprojekt kam der Künstlerin Frída Gylfadóttir vor rund zwei Jahren. Damals wurden die beiden Städte zu der Gemeinde Fjallabyggd zusammen gelegt und es wurde mit dem Bau des Tunnels begonnen.
„Der Schal soll die weiche, warme, menschliche Verbindung unserer Städte symbolisieren und stärken“, erklärt Gylfadóttir. Denn der neue Tunnel bedeutet viel für die Menschen in der Region.
„Bisher führt eine Strasse 60 Kilometer durch das Hochland. Wir wohnen in Siglufjördur, mein Mann arbeitet für die Fischfabrik Rammi, die auch Büros in Ólafsfjördur hat. Im Winter braucht er manchmal sechs Stunden hin und zurück, durch den Tunnel sind es nur noch zehn Minuten.“
Siglufjördur. Foto: Tina Bauer.
Aber auch für Touristen wird die Halbinsel Tröllaskagi dadurch attraktiver. Bisher führte der Besuch von Siglufjördur, der nördlichsten Stadt Islands (bis auf die Insel Grímsey), in die Sackgasse.
Vermutlich sparen sich deshalb einige Touristen die Fahrt, obwohl sich in der Stadt mit rund 1200 Einwohnern bemerkenswerte Museen befinden wie das Volksmusikmuseum und das preisgekrönte Heringsmuseum.
Die Erwartungen der Bewohner an den neuen Tunnel sind gross. „Wahrscheinlich ist deshalb die positive Resonanz so überwältigend gross und es machen so viele mit“, erklärt Gylfadóttir.
Im Januar dieses Jahres hat sie angefangen, die Werbetrommel für ihr Projekt zu rühren. „Inzwischen haben unglaubliche 1025 Personen mitgestrickt! Der Jüngste ist der zehnjährige Haukur Orri Kristinsson, die Älteste ist die 94 Jahre alte Nanna Franklínsdóttir.“
Gylfadóttir schüttelt den Kopf, lacht, sie kann es selbst kaum fassen, was sie für ein grosses Projekt initiiert hat. 11,3 Kilometer lang ist der Schal – und hat genau vom Tunneleingang bis zum Ausgang gereicht.
„Das war mein persönliches Ziel, denn der Tunnel an sich ist elf Kilometer lang, die gesamte neue Strecke zwischen den Städten dann 17 Kilometer.“
Später soll der Schal wieder in seine Einzelteile getrennt und die Schals für einen guten Zweck verkauft werden. Finanziert werden konnte das Megaprojekt vor allem, weil Gylfadóttir einen guten Preis von der Wollfirma Ístex bekommen hat.
Ólafsfjördur. Foto: Tina Bauer.
Fast täglich treffen neue Schalteile bei Gylfadóttir im Atelier in Siglufjördur ein – aus der ganzen Welt: Kanada, USA, Norwegen, Estland, Deutschland, der Schweiz. Manchmal ist es nur ein kurzes Stück Schal, manchmal insgesamt 700 Meter.
„Jeder hat seinen ganz persönlichen Grund, weshalb er mitstrickt“, weiss Gylfadóttir. Isländer, weil die Städte ihre Heimat sind oder weil sie sich mit den Bewohnern verbunden fühlen, Isländer im Ausland, weil sie so ihren Wurzeln wieder ein Stück näher kommen, Touristen, die sich freundlich aufgenommen und jetzt ein Stück Dankbarkeit zurückgeben möchten, oder Künstler, die sich mit Island verbunden fühlen. „Ich bekomme Gänsehaut vor Freunde, wenn ich an all die fantastischen Menschen denke, die das Projekt lebendig machen.“
Gylfadóttir kam Anfang der 1990er Jahre mit ihrem Mann nach Siglufjördur. „Wir wollten nur ein Jahr bleiben – jetzt sind wir immer noch da!“ Es sei die offenherzigen Menschen und der Zusammenhalt in der Stadt.
„Vielleicht weil wir so abgelegen im Norden, eingeschlossen von den höchsten isländischen Bergen sind und bisher nur eine Sackgasse hierher führte.“ Wenn Gylfadóttir von ihrer Heimatstadt erzählt, fangen ihre Augen an zu glänzen – es sieht so aus, als habe sie ihren Platz gefunden.
In grossen Kisten sammelt Frida die gestrickten Wolleberge, näht sie Stück für Stück zusammen – so dass der Schal zur Eröffnung des Tunnels am Wochenende vom Tunneleingang bis zum Ausgang gereicht und die Menschen aus den beiden Städten einander näher gebracht hat. Gemeinsames Stricken verbindet eben!
Von Tina Bauer – www.tibauna.de