Die Ergebnisse des Referendums zum neuen isländischen Verfassungsentwurf sind in Island ganz unterschiedlich gedeutet worden. Übereinstimmend sind jedoch alle Parteiführer der Meinung, dass die Nation dem Parlament eine Botschaft erteilt habe.
Alþingi, das Parlament. Foto: Páll Kjartansson.
„Es ist eine klare Botschaft, die die Nation uns Politikern schickt, um den Vorgang zu beenden,“ sagte Premierministerin Jóhanna Sigurðardóttir dem nationalen TV-Sender RÚV.
„Siebzig Prozent der Wähler sind nicht zur Wahl gekommen oder haben mit „nein“ gestimmt. Aber immerhin, von denen, die zur Wahl gegangen sind, hat sich eine klare Mehrheit dafür ausgesprochen, die Vorschläge des Verfassungskommitees als Grundlage für eine neue Verfassung anzunehmen,“ sagte der Vorsitzende der Unabhängigkeitspartei, Bjarni Benediktsson.
„Ich sehe dies als klare Botschaft… an alle Parlamentarier, an der Sache weiterzuarbeiten und sie zu vollenden,“ kommentierte Álfheiður Ingadóttir, die Vorsitzende der Linksgrünen Partei im Parlament.
„In Bezug auf die erste Frage sind die Ergebnisse sicherlich nicht eindeutig und besagen vor allem, dass das Parlament die Vorschläge des Verfassungskommitees weiter ausarbeiten muss,“ findet auch der Vorsitzende der Progressiven Partei, Sigmundur Davíð Gunnlaugsson.
„Die hohe Wahlbeteiligung ist weltweit einzigartig. Sie ist viel höher als in unseren Nachbarländern, wo üblicherweise Volksbefragungen abgehalten werden,“ meinte das Parteimiglied der oppositionellen Bewegungspartei, Þór Saari.
Und wie schätzt die Premierministerin das Vertrauen der Bevölkerung in die Parlamentarier ein, wenn es darum geht, eine neue Verfassung zu schaffen? Letzte Umfragen hatten ergeben, dass Isländer ihrem Parlament nur wenig Vertrauen entgegenbringen.
„Wir können sagen, dass wir uns in einer Zeit der Prüfungen befinden. Die Nation testet uns, ob wir den Schaffensprozess zur neuen Verfassung bis zu den kommenden Wahlen [im Frühjahr 2013] bewältigen können,“ sagte Jóhanna.
Die Bischöfin der isländischen Nationalkirche, Agnes M. Sigurðardóttir, ist mit den Ergebnissen des Referendums zufrieden, wo es darum ging, ob Kirchenangelegenheiten innerhalb der Verfassung ihren Platz finden sollten. 57,1 Prozent der Wähler hatten sich dafür ausgesprochen.
Dies war die einzige Frage gewesen, wo die Wähler nicht mit dem Verfasssungskommitee übereingestimmt hatten, berichtet ruv.is.
Agnes sieht die Ergebnisse als Unterstützung für die Kirche. „Das ist eine Frohe Botschaft für die isländische Nationalkirche, meiner Meinung nach zeigt sie Unterstützung für die gute Arbeit, die wir getan haben. Die Leute würdigen das.“
Die Vorsitzende des Verfassungskommitees Salvör Nordal sagte ruv.is, die Tatsache dass 66,3 Prozent der Wähler die erste Frage, ob die Verfassungsvorschläge als Basis für die neue Verfassung dienen sollen, mit „ja“ beantwortet haben, zeige Vertrauen in die Arbeit des Kommitees.
Dennoch sei es wichtig, die Resultate zu analysieren und die nächsten Schritte sorgfältig zu wählen. „Ich finde es wichtig, eine breite Solidarität zu schaffen, wenn es darum geht, die Verfassung zu ändern. Keine großen Ankündigungen in den ersten Stunden oder Tagen, sondern wir müssen mit kühlem Kopf an die Sache herangehen, um in den nächsten Schritten Übereinkunft und Solidarität zu finden.“
Zur Wahlbeteiligung befragt, äußerte Salvör sich dahingehend, dass 48,9 Prozent eine höhere Wahlbeteiligung sei, als sie erwartet hatte. Die Diskussionen der vergangenen Wochen hätten Menschen zur Wahl ermutigt, meint sie.
Das Referendum ist nicht bindend. Das isländische Parlament Alþingi wird entscheiden, ob der Verfassungsentwurf als Leitlinie für die Schaffung einer neuen Verfassung benutzt wird. Die derzeitige Verfassung des Landes stammt aus dem Jahr 1944.
Sprecherin für das Verfassungskomittee im Parlament Valgerður Bjarnadóttir sagte, ein Gesetzentwurf für eine neue Verfassung könne innerhalb der nächsten zwei Wochen vorliegen.
Dieser Gesetzentwurf würde dem Parlament zur Debatte vorgelegt werden, bevor darüber abgestimmt wird. Die Debatte könnte vor den kommenden Wahlen abgeschlossen sein, und die Wahl zu einer neuen Verfassung könne parallel zu den Parlamentswahlen abgehalten werden.
Hier finden Sie Details zum Referendum (in englischer Sprache).
DT