Pferd überwältigen schafft kein Vertrauen Skip to content

Pferd überwältigen schafft kein Vertrauen

Zum vieldiskutierten Fall des abgelegten Pferdes auf einem Trainingskurs im Herbst in Island hat die Pferdeverhaltensexpertin Machteld van Dierendonck ihre Einschätzung abgegeben. Die Wissenschaftlerin, die jahrelang das Verhalten von Przewalskipferden in der Mongolei erforscht hat, lebt in den Niederlanden und hält selbst Islandpferde.

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Foto: Dagmar Trodler/Iceland Review

Sie habe sich das Video zusammen mit ihrem Richterkollegen Þorgeir Guðlaugsson angeschaut und versucht, Hintergrundinformationen zu sammeln. Sie kritisiert auf das Schärfste, dass das Pferd weder vor der Aktion noch hinterher von einem Tierarzt untersucht worden sei.

Die Dauer der Aktion (die Rede war von einem 45-minütigen Ablegeversuch) habe für die dringende Notwendigkeit einer tierärztlichen Untersuchung des Pferdes gesprochen, weil es sich durch die einwirkenden physikalischen Kräfte am Bein und am Genick hätte verletzt haben können.
“Dieses Pferd ist in der Tat gebrochen worden, und nicht etwa trainiert.” urteilt die Verhaltensforscherin.
Sie sei verärgert und frustriert über das Unvermögen, professionelle Trainer von der Notwendigkeit zu überzeugen, die physischen und mentalen Voraussetzungen von Jungpferden in der Ausbildung zu respektieren. Stattdessen falle man immer wieder in alte Trainingsmuster aus Zeiten des Nichtwissens.
Das Video zeige, wie Iben Andersen das Pferd mit physikalischen Kräften per Seilzug überwältige und zum Abliegen zwinge, um Vertrauen zu gewinnen. “Per definitionem kann man kein Pferd und keinen Menschen dazu zwingen, Vertrauen zu gewinnen, egal mit welcher Methode,” sagt Machteld van Dierendonck. Es sei überhaupt nicht schwer, einem Pferd das Ablegen mit langsamen und operanten Methoden beizubringen. Auch “schwierige” oder hypersensible Pferde könnten das lernen.
Die in Ingunn Reynisdóttirs Brief erwähnte Methode des floodings sei eine verhaltensverändernde Methode, die ausschließlich in sehr speziellen Situationen durch erfahrene Profis durchgeführt werden dürfe. Wünschenswert sei eine vorherige tierärztliche Untersuchung. Flooding erzeuge bewusst starke Angst- und Fluchtreaktionen oder sogar Panik, ohne dass das Pferd flüchten könne, was einer Bestrafung gleichkomme. Dies könne zu Learned Helplessness führen, und das gelte auch für das erzwungene Ablegen, selbst wenn es nur 5 oder 10 Minuten dauere.
Learned Helplessness ist ein nicht wünschenswerter mentaler Zustand, der in schweren Fällen nach nur wenigen Minuten erreicht werden kann.” sagt die Verhaltensforscherin. Medizinische Untersuchungen in Tierversuchen zeigten, dass nach wiederholtem Flooding neurobiologische Veränderungen im Gehirn des Probanten messbar seien. Die meisten Tiere benötigten eine lange Erholungsphase. Die Situation oder der Ort des Floodings erzeuge jedoch weiterhin Abwehrreaktionen.
Van Dierendonck zufolge sei Iben Andersen sich nicht über die Grundprinzipien von Lernprozessen bewusst. Es sei wissenschaftlich belegt, dass die Anwendung von starken Kräften zu deutlichen Stressreaktionen führe, wenn das Tier keine korrekte Belohnung erhalte in dem Moment, in dem es korrekt antworte. Die Trainerin zerre an beiden Seilen und lasse jedoch nicht im richtigen Moment locker. Sie bestrafe das Pferd und gebe ihm keine Chance, den Druck mit der korrekten Reaktion in Verbindung zu bringen. Sie bringe das Pferd einfach nur aus dem Gleichgewicht, “eine sehr sehr ängstigende Situation für jedes Lebewesen.” urteilt van Dierendonck.
Nur zum Ende hin, als das Pferd körperlich und vermutlich auch mental erschöpft ist, lockere Iben beide Seile, doch auch hier ohne korrekte Belohnung.

Weiss’ Rattenexperimente aus den 70er Jahren (welche später mit anderen Lebewesen bestätigt wurden) hätten gezeigt, dass chronischer Stress Kontrollverlust, sowie Unberechenbarkeit, vermindertes Feedback und Verstehen zur Folge habe. Genau das sei im Video zu beobachten.

Van Dierendonck hält die systematische Desensibilisierung für tauglicher als das flooding. Es sei sicherer und käme dem Pferd mehr entgegen.

Bei einem Pferd, welches sich zu Beginn schwierig gibt, sei Ursachenforschung vonnöten. Man müsse genügend Zeit in probate Desensibilisierungsmethoden investieren, die weder Furcht noch Panik hervorrufen.
Die Forscherin fordert dazu auf, aus dieser Angelegenheit für die Zukunft zu lernen: z.B. mit solchen Pferden in einem angemessenen Alter umzugehen, bzw. erfahrene Pferde als Vermittler im Training benutzen. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass solche Methoden für das Pferd weitaus sicherer, sowie geistig und körperlich gesünder seien.
Van Dierendonck bezeichnet Iben Andersen (und andere Anwender der Methode) als “unprofessionelle Kopistin” einer Methode, die international als “sacking” bekannt ist. In der Regel werde diese Methode falsch angewendet.

Es gebe ihrer Meinung nach nur einen einzigen Grund, eine Methode, die Angst durch erzwungene Bewegungslosigkeit bekämpft, anzuwenden. Die amerikanische Wissenschaftlerin und Autistin Temple Grandin, die mit Forschungen über den Umgang mit Tieren, vor allem in Schlachthäusern bekannt geworden ist, hat gelernt, ihre eigenen Ängste und Überempfindlichkeiten durch eine “hug box” in den Griff zu bekommen.

Pferde seien allerdings nun nicht gerade als Autisten bekannt. Möglicherweise könne jedoch die Ganzkörperberührung unter Zwang bei Pferden mit (tierärztlich diagnostizierter!) Hypersensibilität positive Effekte haben. Damit sei ausdrücklich nicht das zu-Boden werfen gemeint. Noch niemals habe sie von einem Tier gehört, welches wirklich körperlich wie geistig ruhiger war, nachdem es derart gehandelt worden sei, selbst wenn es danach ruhiger wirke.
Der Gebrauch solcher Methoden berge stets die Gefahr der Falschinterpretation von Pferdeverhalten: man bestrafe das Pferd anstatt ihm seine Angst zu nehmen.
Die Forscherin ermuntert dazu, sich mit dem Lernen und Verhalten von Pferden näher zu beschäftigen, das Pferdetraining zu einem angemessenen Zeitpunkt zu beginnen und das Trainingsumfeld so zu gestalten, dass das junge Pferd langsam und von anderen Pferden lernen kann.

“Das wird sich langfristig auszahlen,” sagt Machteld van Dierendonck.
Hier lesen Sie mehr über die Vorgeschichte.
DT

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