Eine “Schulreitschule” klingt zu schön um wahr zu sein, doch genau das bietet die Gesamtschule FSU im südisländischen Selfoss für Menschen ab 16 Jahren. Diese zweijährige Hestabraut (isl: Pferdezweig) steht allen Interessierten offen – also auch Leuten von außerhalb, die ihre Kenntnisse rund ums Pferd vertiefen oder ganz neu beginnen wollen.
Gutes Reiten braucht guten Unterricht. Foto: Sissel Tveten/Hestabraut
Drei engagierte Lehrerinnen betreuen die Hestabraut – in der Schultheorie paukt Sigga Pjétursdóttir mit ihren Schülern alles Theorethische rund ums Pferd – Anatomie, Biomechanik, Fütterung, Geschichte, Ausrüstung – der Praxisteil findet auf dem nahegelegenen Gestüt Votmúli statt, wo Züchterin und Ausbilderin Freyja Hilmarsdóttir zusammen mit der Norwegerin Sissel Tveten drei mal pro Woche Reitunterricht gibt.
Außerdem steht ein 12-wöchiges Praktikum in einem Pferdebetrieb auf dem Stundenplan.
Im Jahr 2006 war dieser ungewöhnliche Zweig mit 12 Schülern begonnen worden, ursprünglich als Praxis-Angebot für lernbehinderte Jugendliche. Inzwischen erfreut er sich solcher Beliebtheit, daß es jedes Jahr eine Warteliste für die 30 Plätze gibt, außerdem eine Versuchsreihe mit Reitunterricht für Kinder mit Entwicklungsstörungen, die positives Echo brachte.
30.000 Kronen kostet ein Semester für jeden Teilnehmer, ganz gleich woher er kommt. Die erreichte Punktzahl in der Abschlußprüfung fließt in die Wertung des Gesamtschulabschlusses stúdentspróf.
Die Schule selbst besitzt fünf Pferde und finanziert den Unterhalt von sieben geliehenen Pferden. Der Unterricht erfolgt in kleinen Gruppen, mit Fokus auf einer guten und pferdefreundlichen Grundausbildung auf der Basis der Knapamerki-Bücher, einer neuen Lehrbuchreihe, vergleichbar mit den deutschen Richtlinien für Reiten und Fahren der FN.
Die kritischsten Lehrer sind jedoch die Pferde. “Unsere Pferde sind ganz unterschiedlich,” erklärt Sissel. “Aber immer sind sie so, wie der Reiter sich gibt.” Aus diesem Grund wurde auch der Versuch, das eigene Pferd in den Unterricht zu integrieren, wieder fallen gelassen. “Uns ist wichtiger, daß die Schüler auf möglichst vielen Pferden Erfahrung sammeln”, sagt Freyja, “und sich nicht an ihren alten Problemen festbeißen. Mit dem was sie bei uns lernen, können sie ihr Pferd dann zuhause trainieren.”
Der positive Umgang mit Pferden ist eins ihrer Hauptanliegen. “Wenn was falsch läuft, fragt man sich erst mal selbst, was war denn los?” Sie möchte daß ihre Schüler lernen, das eigene Tun selbstkritisch zu hinterfragen. “Wir bringen den Leuten das theoretische Fundament bei, um ein besserer Reiter zu werden,”
Gutes Pferdetraining fängt beim Umgang mit dem Pferd an. Foto: Sissel Tveten/Hestabraut
Allgemein sieht Freyja die Gefahr, daß sowohl das Gefühl fürs Pferd als auch all die Geschichten rund ums Pferd mit der Moderne verloren gehen. Dagegen arbeitet sie mit aller Kraft an.
“Ich sag meinen Schülern immer ‘Ihr seid die Generation, die Dinge verändern kann!’ und versuche, ihren Blick zu schulen. Es geht nämlich nicht darum, was du lernst, sondern was du am Ende damit anfängst.”
Die Hestabraut versieht ihre Schüler mit genug Rüstzeug, um die Reitlehrerausbildung an der Pferdeschule von Hólar anzuschließen. Oder, wenn es drittes Ausbildungsjahr genehmigt wird, vielleicht bald sogar ein Studium an der Hochschule, so hofft Sissel. Die Dozenten gehen jedoch davon aus, daß das erworbene Wissen in erster Linie im privaten Gebrauch und im Pferdeverleih und Tourismus genutzt wird – wo in Island vieles im Argen liegt.
Eine Menge Psychologie steckt hinter der Betreuung der jungen Reiter, die alle mit unterschiedlichen Vorgeschichten nach Votmúli kommen. Mancher hat schon Medaillen gesammelt und lernt an der Sitzlonge, erst mal kleine Brötchen zu backen, andere kämpfen gegen alte Ängste und werden behutsam dazu gebracht, ihre Grenzen zu überwinden. Freyja und Sissel freuen sich mit jedem Schüler über kleine Erfolge und persönliches Wachstum.
Ihre warme Menschlichkeit ist es auch, was Mona Kensik trotz Reitunfällen in der Vergangenheit bei der Stange hält. Die deutschstämmige Schülerin im zweiten Semester hält seit vielen Jahren in Island Pferde in Eigenregie und staunt, was sie in Votmúli so alles noch lernen kann. “Die ganze Atmosphäre stimmt einfach. Der Stall ist so positiv und freundlich, wir gehen ruhig mit den Pferden um und werden dazu angehalten, sie viel zu loben, das ist einfach schön,” beschreibt sie ihr Lerngefühl.
Ihre Sicherheit im Sattel habe sie durch Übungen an der Sitzlonge und durch zügelunabhängiges Reiten wiedererlangt. Genau darum geht’s nämlich in der Hestabraut: “Erst reitest du richtig, dann kommen die Gangarten.”
Am Ende der zweijährigen Ausbildung in Theorie und Praxis steht eine Abschlußprüfung, auf die man aktiv hinarbeiten muss. Doch dank der konstruktiven und engagierten Begleitung durch die drei Lehrerinnen sollte der Abschluß kein Problem sein. “Sie haben immer ein offenes Ohr für uns.”
Und sie geben ihre Erfahrung und ihr ganzes Wissen für die Schüler.
“Macht was draus!” sagt Freyja herausfordernd.
DT