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“Die Anforderungen werden unterschätzt”

Der Mann aus Belgien muss Röntgenaugen haben. Am Samstag schaute er einen ganzen Tag lang beim offenen Training auf dem Berliner WM-Gelände zu, ohne Pferde oder Reiter zu kennen, und machte sich Notizen zum Bewegungsablauf der einzelnen Pferde. Sonntags rutschten einige Pferde so gerade eben durch den Vet-Check, erzählt Physiotherapeut Charly van Droemme aus Landsberg am Lech. Und heute hört er in den Teams von ersten Problemen – die er am Samstag schon erkannt haben will.

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Charly van Droemme beim Beurteilen der Rückenmuskulatur. Foto: Uta Over

Seine „Röntgenaugen“ hat er sich durch jahrelangen Einsatz im Vielseitigkeits- und Springsport auf Weltklasseniveau erarbeitet, wo die Dinge, so sagt er, anders laufen. Nicht zuletzt, weil wegen millionenschwerer Pferde viel mehr Geld involviert ist. Jede Mannschaft hat dort ihren eigenen Physiotherapeuten, der eng mit Tierarzt und Hufschmied zusammenarbeitet. Der Aktionsradius des Physiotherapeuten ist durch das FEI-Dopingreglement stark eingeschränkt, doch kann man durch Massagen, die erlaubt sind, durchaus eine ganzen Menge für das Wohlbefinden des Sportpferdes am Turnierort bewirken. Und Islandpferde seien auch nur Pferde. Einige hat er auf dieser WM auf Wunsch ihrer Besitzer massiert.

„Die meisten Pferde sind vor allem verspannt nach dem langen Transport zum WM-Ort.“ erklärt der erfahrene Physiotherapeut und Chiropraktiker. „Hier müssen sie viel länger als zuhause in der Box stehen, werden eher weniger und anders geritten und haben zusätzlich Stress in der ungewohnten Umgebung und getrennt von ihrer Herde. So ein Stress hat psychosomatisch negative Auswirkungen auf Muskulatur und Gelenke.“ Trotzdem sollen die Pferde Höchstleistungen vollbringen.
Die Anforderungen, so findet er, würden von den Teams insgesamt oft unterschätzt. Sportmedizin sei im Islandpferdebereich noch unbekannt. „Es gibt keine sportmedizinische Begleitung vor der WM,“ hat er beobachtet. Nur so sei es zu erklären, daß Pferde nicht durch den ersten Vet-Check kommen oder nach zwei Tagen erste Lahmheiten zeigen – seiner Ansicht nach immer Ergebnis einer längeren Vorgeschichte. „Wie kommen diese Pferde hier her?“ fragt er provokativ.
Und: „Muss eine Weltmeisterschaft einen olympischen Gedanken haben?“ Ihm ist das Leistungsniveau viel zu unterschiedlich, er will auf einer Weltmeisterschaft auch Weltklasse bei Pferden und Reitern sehen. Für eine Vereinheitlichung müssten die Verbände die Qualifikationskriterien besser steuern. Dann hätte man auch ein ehrliches Finale – nämlich das der Weltbesten. Die Vet-Checks müssten strenger sein, um auch die halb-angezählten Kandidaten gar nicht erst durchzulassen.
Ein weiteres Kriterium ist für ihn der körperliche Zustand der Pferdeathleten. Er hat einige Pferde gesehen, die er von ihrem Trainingszustand her für nicht WM-tauglich hält. Daran sind seiner Ansicht nach in den häufigsten Fällen die Sättel schuld. „Die sind zu eng in der Kammer. Damit kann sich der Vorderteil des Rückenmuskels während der Arbeit nicht ausdehnen und bildet sich zurück.“ Immerhin lägen die Sättel nicht mehr ganz so weit hinten wie noch bei der letzten WM.
Er wünscht sich mehr Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten rund ums Sportpferd. „Schulmedizin hat andere Augen“ sagt er und verweist auf die große Bandbreite der im Vielseitigkeitsbereich üblichen Sportmedizin.
Die Welt des Sports ist ein hartes Feld für Pferde. Charly van Droemme möchte sie für Pferde angenehmer machen. Das treibt ihn an, und das gibt ihm den Mut, Besitzern und Reitern auch unbequeme Wahrheiten ins Gesicht zu sagen. Seiner Erfahrung nach haben gesunde und fitte Pferde mehr Spaß an der Arbeit und sind viel eher bereit, für ihren Reiter an Grenzen zu gehen.
DT

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