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Der Griff an die Seele des Pferdes

Nachdem ein umstrittenes Trainingsvideo der dänischen Islandpferdetrainierin Iben Andersen die isländische Veterinäraufsichtsbehörde MAST zu einer Erklärung veranlasst hatte, in welcher die Methode des Pferd ablegens als tierschutzwidig bezeichnet wurde, hat die Tierärztin Ingunn Reynisdóttir, Tochter des verstorbenen isländischen Reitmeisters Reynir Aðalsteinsson, sich in einem offenen Brief zu Wort gemeldet. Der Brief ist auf isländisch hier erschienen und wird derzeit übersetzt.
Ingunn schreibt, daß ihr verstorbener Vater Reynir psychische und physische Gewalteinwirkung einen “Griff an die Seele des Pferdes” genannt habe, und daß dieser Grundsatz immer Leitmotiv ihres Lebens mit Pferden gewesen sei.
Sie erklärt, daß Pferde ausschließlich aus Erfahrung und nur in kleinen Schritten lernen können. Da sie Fluchttiere sind und keine Schlußfolgerungen ziehen können, müssen alle Trainingsschritte wohl überlegt ausgeführt werden. Gestresste oder verängstigte Pferde lernten nur unter Schwierigkeiten, weil durch den Stress ein Teil des Gehirns gehemmt werde. “Unsere Arbeit mit dem Pferd sollte niemals ein Kampf sein und wir sollten dem Pferd niemals unseren Willen aufzwingen. Vielmehr soll es uns als seinem Führer vertrauen.” schreibt Ingunn.
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Pferde legen sich nur hin, wenn sie sich sicher fühlen. Foto: Dagmar Trodler
In ihrem Brief erklärt sie die präsentierte Methode des “flooding”, in welcher Pferde einem Übermaß an Reizen ausgesetzt werden, um sie gegen den Reiz immun zu machen.
Diese Methode führe, so Ingunn, anders als die Methode der “systematischen Desensibilisierung” jedoch nicht zum Ziel, daß sich das Pferd an den gefürchteten Reiz gewöhne, sondern nur dazu, daß es gar nicht mehr reagiere. Sie vergleicht die Methode mit der Option eines Menschen mit Höhenangst, sich vor einem Krokodil auf einen Baum zu retten. Er sei dort oben zwar sicher, habe aber weiterhin Höhenangst.
Die zweite fragliche Methode im Video betrifft das Ablegen eines Pferdes unter Zwang. Iben hatte ein Seil um das Vorderbein des Jungpferdes geschlungen und versucht, es aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das Pferd war erst nach 45 minütiger Gegenwehr liegengeblieben.
Die Tierärztin erklärt in ihrem Brief, daß das Beutetier Pferd entweder mit Flucht oder (wenn Flucht nicht möglich ist) mit Bewegungslosigkeit auf seinen Angreifer reagiere. Letzteres werde in der Verhaltensforschung ‘Tonic Immobility’ genannt. Im Fall des Videos sei der Mensch der Angreifer. Abgelegte Pferde zeigten oft einen stieren Blick und würden auf nichts reagieren. Ähnliches Verhalten beobachte man beim Menschen in Extremsituationen, bei Vergewaltigungen, Unfällen oder in akuter Lebensgefahr.
Sie erklärt, daß ein liegendes Pferd extrem verletzlich sei und sich daher ausschließlich ablegen lässt, wenn es Vertrauen zu der Person habe, die dies von ihm verlange. Das unter Gewalteinwirkung abgelegte Pferd hingegen ergebe sich dem Angreifer. “Es ist bereit zu sterben und bereitet sich darauf vor, gefressen zu werden.” schreibt Ingunn.
Weitere Gefahren sieht die Tierärztin nicht nur in muskulären Schäden beim Aufstehen (tying up) sondern vor allem in der “Learned Helplessness” (erlernte Hilflosigkeit): das Pferd lerne, daß es der unangenehmen oder gefährlichen Situation nicht entkommen kann und gibt auf. Pferde in der “Learned Helplessnes”, einem bekannten Phänomen in der Verhaltensforschung, wirken oft inaktiv, unterwürfig und depressiv. Sie erfüllen alle an sie gestellten Anforderungen und zeigen jedoch keine Initiative. “Der Funke, die Tatkraft, die Freude sind verschwunden.”
Wo auch immer Druck ohne Nachgeben ausgeübt wird, sei es beim “flooding”, beim Ablegen mit Seileinwirkung, beim Ausbinden oder beim Reiten unter permanentem Treiben mit dauerhafter Zügeleinwirkung, lauere die Gefahr der Learned helplessness für das Pferd.
Das Ablegen des Pferdes sei eine der ältesten Trainingsmethoden der Welt und auch eine der am häufigsten diskutierten, schreibt die Tierärztin. Die Methode habe sich als nicht vereinbar mit modernern Tierschutzprinzipien herausgestellt, vielmehr hätten wissenschaftliche Studien Klarheit über das Lernverhalten der Pferde geschaffen und die Methode des Ablegens ad absurdum geführt.
Es gebe weitaus bessere und pferdefreundlichere Methoden.
“Mit dieser Methode haben wir den freien Willen zerstört, der uns so an den Pferden fasziniert, und wir haben den Funken zum Erlöschen gebracht, der den Motor antreibt. Laßt uns nicht die einzigartige Persönlichkeit unserer Pferde verderben, ihren edlen Geist, ihr Würde und ihre Kraft. Wir greifen ohne Zweifel nach ihrer Seele und das ist nicht akzeptabel.” endet Ingunn Reynisdóttir ihren Appell.
Einen mehrteiligen Artikel zum Thema Learned Helplessness finden Sie hier.

DT

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