Islandpferdereiter der Neuzeit können sich in der Regel kaum vorstellen, ihr Pferd ohne Hufeisen zu reiten. Als ‘Tierquälerei” wird es häufig bezeichnet, die Pferde würden sich fest machen, könnten keinen lockeren Tölt zeigen, und natürlich auch keine Vorhandaktion.
Die Frage nach Hufschuhen in einem großen Reitsportgeschäft in Reykjavík brachte die Antwort: “Diese Schuhe (Easyboots, nur zu groß vorrätig) sind ausschließlich für kranke Pferde. Du kannst damit nicht reiten, und barhuf kannst du auch nicht reiten.”
Hufeisen gab’s nicht immer auf der Insel. Foto: Dagmar Trodler/Iceland Review
Dabei verdankt das Islandpferd seine außerordentliche Hufhornqualität einer gnadenlosen Auslese: es wurde nämlich viele hundert Jahre ohne Hufeisen genutzt. Der Historiker Jón Árni Frídjónsson weist in seinem Vortrag über Beschlag in Island darauf hin, daß die Wikinger zur Landnahmezeit und später ihre Pferde im Sommer barhuf und im Winter mit Spikebesätzen genutzt hätten. In den Isländersagas ist immer mal von beschlagenen Pferden die Rede, doch muss es sich viel eher um Hufschuhe gehandelt haben. Hufeisen haben sich in Europa erst ab dem 11 Jh. durchgesetzt – auf der Insel war Eisen noch lange Zeit eine äußerst kostspielige Rarität.
Und möglicherweise sind die frühen Bewohner Islands gar nicht so hart gewesen, sondern die Wege weicher, weil die Bodenerosion noch nicht so weit fortgeschritten war wie heute. Auch die Menschen liefen damals entweder barfuß oder in Schuhen aus dünner Tierhaut – sie wussten um wunde Füße. Zudem ist das Gefühl für das wegbare Land selbst, sowie der Rahmen durchschnittlicher Reisen ganz anders gewesen als heute.
In Anbetracht von rudimentärem Beschlagswissen und kaum vorhandenem Handwerkszeug, so glaubt Jón Árni, war es ohnehin ungefährlicher, sein Pferd achtsam und rücksichtsvoll zu reiten, als es mit grobem Beschlag zu verletzen.
Die ersten Jahrhunderte nach der Landnahme waren von der Seefahrt geprägt – schwere Lasten und lange Reisen wurden eher per Küstenschiff geplant als auf dem Pferderücken, nicht zuletzt, weil es kaum Wege durchs Land gab, und weil die Pferdepopulation der Insel zu klein war. Ab dem 13. Jh. hatte sich das geändert. Auf weiten Reisen behalf man sich mit vielen Pferden, die in kurzen Zeitabständen gewechselt wurden. Und unterwegs auch getauscht, vielleicht der Ursprung des heute noch gebräuchlichen sogenannten hestakaup, dem Pferdetausch: mein Brauner gegen deinen Schwarzen.
Nicht zuletzt spielte auch die Fortbewegungsgangart der Pferde eine Rolle. Trotz der Vielfalt ihrer Gänge war der “Reisepass” die beliebteste, weil bequemste und kraftsparendste Gangart des Pferdes. Unschick wurde der Reisepass erst mit Aufkommen des Turnierehrgeizes. Dem unbeschlagenen Pferd jedoch sei der Reisepass in seinen Varianten körperlich am besten bekommen.
Der Historiker wirft die Frage auf, was wohl aus der Gangvielfalt geworden wäre, wenn das Pferd von Beginn an schwerbeschlagen durch die Lande geritten worden wäre.
Ab dem 15. Jh. importierten britische Kaufleute vemehrt Hufeisen und billige “Hufschuhe”. Das Versehen mit Hufschutz kommt immer mehr in Mode und auf den meistfrequentierten Reiserouten bieten Herbergen entsprechenden Service an. Gereist wurde in langen Zügen aneinander gebundener Pferde, beschlagen wurden zumeist nur die Reitpferde des Zuges. Die Möglichkeit des Beschlags und das dadurch höhere Reisetempo spielte vor allem für die Führer des Landes eine große Rolle – für den kleinen Bauern so gut wie keine. Die Zahl der Pferde pro Einwohner lag in Island immer schon höher als in Europa, und die meisten der oft sich selbst überlassenen Pferde wurden in der Regel wie nie beschlagen – vielmehr nutzte und vermehrte man die Tiere, die sich als widerstandsfähig und zäh erwiesen.
Vor dem Hintergrund ist zu hoffen, daß Hufschuhe, mit denen ausgerüstet Pferde in anderen Ländern internationale Distanzchampionate auf schwieigem Geläuf bewältigen, sich auch in Island irgendwann als Beschlagsalternative durchsetzen.
DT