Alva Gehrmann, eine freie Journalistin aus Berlin, hat ein Buch mit dem Titel “Alles ganz Isi – Isländische Lebenskunst für Anfänger und Fortgeschrittene“ geschrieben, das vor kurzem bei DTV herausgekommen ist und einen wachsenden Leserkreis erfreut.
Alva Gehrmann. Photo by Tina Bauer.
Die Autorin kam erstmals als Touristin nach Island und war von Land und Leuten fasziniert. Seit fünf Jahren lebt sie jeweils für einige Monate im Jahr in Island. Alva Gehrmann hat viele Artikel über Island für deutsche Zeitungen geschrieben und ihr Umgang mit Isländern inspirierte sie, über die isländische Mentalität zu schreiben.
Ihr Buch stellt nicht wie üblich die isländische Natur in den Mittelpunkt, sondern die Gesellschaft. Unter ihren Hauptfiguren sind die Schriftsteller Hallgrímur Helgason und Sjón, die ehemalige Präsidentin Vigdís Finnbogadóttir und der Komiker und Bürgermeister von Reykjavík, Jón Gnarr.
Das Buch ist gespickt mit witzigen Ratschlägen, wie man den isländischen Lebensstil direkt ausprobieren kann, wie man sich zum Beispiel entsprechend verrückt aufstylt oder die heimische Badewanne in einen Hot Pot verwandelt.
Icelandreview.com stellte Alva Gehrmann ein paar Fragen zu ihrem Buch:
IR: Wann hat deine ‘Beziehung’ zu Island angefangen? Und warum hast du dich entschieden das Buch zu schreiben?
AG: Das erste Mal kam ich vor rund zehn Jahren als Backpackerin auf die Insel, damals habe ich vor allem die exotische Natur erlebt. Später kehrte ich dann als Journalistin zurück und entdeckte die Isländer, die auch sehr exotisch sein können. Und per capita stets Rekorde aufstellen: Sie haben die höchste Dichte an Literaturnobelpreisträgern, bekommen europaweit die meisten Kinder und nutzen angeblich wie kaum eine andere Nation Facebook. Nach rund 40 Reportagen über die Gesellschaft entstand die Idee, ein Buch zu schreiben. Ich möchte den Lesern darin die isländische Lebensart näher bringen und zeigen, wie das Inselvolk lebt, liebt und mit Krisen umgeht.
IR: Was interessiert dich an der isländischen Lebensart?
AG: Ich schätze die spontane, flexible und kreative Ader der meisten Isländer. Die viel beschworene Kreativität ist zwar inzwischen auch schon zu einer Art Klischee geworden, es gibt sie aber wirklich. Wenn Isländer eine Idee haben, dann traut sich so gut wieder jeder, sie auszuprobieren – sei es nun eine Performance, wollene Ganzkörperkleider zu stricken oder einen solarbetriebenen Cola-Automat mitten in der Einsamkeit Ostislands aufzubauen. Nach dem Motto: ‘þetta reddast’ – das wird schon irgendwie klappen. Wenn nicht, dann machen sie eben etwas anderes.
IR: Wird die ‘þetta reddast’ -Mentalität nicht zu sehr romantisiert?
AG: Natürlich hat diese Mentalität nicht nur Vorteile. Manche Dinge werden zu unbedacht oder auf den letzten Drücker erledigt, und das geht dann auch mal schief. Mit Beginn der Krise war es zeitweise verboten ‘þetta reddast’ zu sagen. Es klappt eben doch nicht immer alles, hiess es dann. Für mich war es aufschlussreich zu erleben, wie die Isländer mit der Finanzkrise umgehen. Bei uns hätte man zum Beispiel nie einen Komiker zum Bürgermeister der Hauptstadt gewählt. Die Isländer haben den Mut, auch mal ungewöhnliche Wege zu gehen. Das ist wohl ein Erbe der Natur. Früher mussten die Inselbewohner immer mit dem klarkommen, was da war – so wurde der Bauer zeitweise zum Doktor, Zimmermann oder Anwalt.
IR: Hast du keine Isländer kennengelernt, die anders denken?
AG: Sicherlich kenne ich auch Isländer, die anders sind – die gerne planen, nie hohe Kredite aufgenommen haben und eher zögerlich sind. Doch die bezeichnen sich dann aber auch selbst als eher untypisch Isländisch. Ich habe mich im Buch auf die typischen Landsleute konzentriert. Was mir immer wieder auffällt, ist die Neugierde und Unruhe des Inselvolkes. Einer sagte mir mal: „Als die Krise kam, war ich depressiv. Doch nach drei Monaten war ich von der Krise gelangweilt.“
IR: Was hat deiner Meinung nach die Krise verursacht?
AG: Wenn ich diese Frage in zwei Sätzen beantworten könnte, wäre ich bald reich und berühmt. Sicherlich spielt die Privatisierung der Banken eine wichtige Rolle. Ich erinnere mich noch daran, dass ich mich in den Boomjahren wunderte, dass fast jeder Kredite bekam, ohne dafür grosse Sicherheiten bieten zu müssen. Das wäre bei uns in Deutschland nicht möglich gewesen. Andererseits entsteht aber auch schnell eine Gruppendynamik: wenn fast alle ihr Haus, ihren Jeep oder die moderne Fernsehanlage mit Krediten finanzieren, machen viele andere mit. In Island fällt mir immer wieder auf: Ist etwas in Mode, wollen es plötzlich alle haben oder tun – das war bei den grossen Jeeps so und zuletzt mit dem Trend, im Meer schwimmen zu gehen.
IR: Was können die Isländer von den Deutschen lernen?
AG: Viele Deutsche sollten weniger grübeln und einige Isländer ein bisschen mehr nachdenken, bevor sie sich ins nächste Abenteuer stürzen. Als ich mit dem Buch anfing und meinen isländischen Freunden erzählte, ich wolle die Deutschen dazu animieren, ein wenig mutiger, flexibler und spontaner zu leben, sagten sie: „Was? Wir sollten mehr sein wie ihr!“ Vermutlich wäre eine Mischung beider Mentalitäten perfekt. Doch Mittelmass ist doch auch irgendwie langweilig. Und als langweilig bezeichnet zu werden, wäre für Isländer wohl der schlimmste Ruf.
IR: Hast du die isländische Lebenskunst schon übernommen?
AG: Ich plane nun weniger und ehrlich gesagt, stresst es mich manchmal sogar, wenn Freunde mit mir einen Termin in zwei Wochen um 15 Uhr ausmachen wollen. Wer weiss schon, was dann ist? Wie der Autor Hallgrímur Helgason schon sagt: „Wir planen nicht gerne. Wir wollen, dass die Zukunft spannend bleibt.“
Hallgrímur gibt in meinem Buch auch zehn Tipps, das Grübeln zu beenden und mit dem Ausleben der eigenen Kreativität zu beginnen. Bei meinen ersten Lesungen habe ich kleine Performances eingebaut, das hätte ich mir früher nie zugetraut.
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Alles ganz Isi ist im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen und kostet 14,80 Euro.
http://www.dtv.de/buecher/alles_ganz_isi_24874.html
ESA/bv