„Sagenhaftes Island“, unter diesem Motto wird sich Island als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse 2011 präsentieren. Neben Übersetzungen moderner isländischer Autoren wird mit Hochdruck an einer Neuübersetzung der Isländersagas gearbeitet. Halldór Gudmundsson, Direktor des Projektbüros Sagenhaftes Island, erklärte gegenüber der Icelandreview.com:
„Wir, die Verantwortlichen für den Ehrengastauftritt Islands in Frankfurt 2011, sahen es als unsere erste Aufgabe, die Sagas wieder mit Nachdruck auf den deutschen Markt zu bringen. Deswegen freuen wir uns auch sehr über die beim Fischer Verlag geplante Ausgabe.“
Seite der Njáls saga aus Mödruvallabók.
Seit Jahren sind in Deutschland Übersetzungen isländischer Sagas nur noch antiquarisch erhältlich. Im Buchhandel werden Interessenten auf englischsprachige Ausgaben verwiesen.
„Das ist eine unmögliche Situation“, meint Halldór Gudmundsson. „Die Eddas und Sagas sind der wichtigste Beitrag Islands zur Weltliteratur und wurden teilweise schon seit dem 18. Jahrhundert ins Deutsche übersetzt. Mit der so genannten ‘Sammlung Thule’ gab es in den Zwischenkriegsjahren eine grosse Auswahl dieser Texte auf Deutsch. Nach dem zweiten Weltkrieg herrschte, aus nachvollziehbaren Gründen, lange ein Misstrauen bei deutschen Literaten gegenüber den Sagas, eine regelrechte Berührungsangst.“
Diese Berührungsangst hatte ihre Ursache vor allem in der Instrumentalisierung von nordischer Mythologie und altisländischer Literatur durch die nationalsozialistische Ideologie. Die zwischen 1911 und 1930 entstandene 24-bändige Sammlung Thule ist von einem Germanenbegriff geprägt, den Julia Zernack, Professorin an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt und Mitherausgeberin der neuen Fischer-Edition, in einem Beitrag zur Geschichte des Diederichs Verlages kritisch beleuchtete: Die Sammlung Thule suggeriere, die Zeugnisse aus dem fernen Island könnten „den Deutschen die Welt ihrer germanischen Vorfahren gleichsam von innen zeigen“.
Auch verschrobene Übertragungen der in den Sagas enthaltenen Verse, willkürliche Kürzungen und andere Unzulänglichkeiten der Sammlung Thule machten seit langem eine Neuübersetzung notwendig. 1996 startete der Diederichs Verlag die von Kurt Schier herausgegebene Reihe „Bibliothek der altnordischen Literatur“, von der acht (inzwischen vergriffene) Bände erschienen sind. Halldór Gudmundsson sagt dazu:
„Diederichs musste seinerzeit leider aus verschiedenen Gründen aufgeben. Aber ich weiss, dass die jetzigen Herausgeber darauf hinarbeiten, die neuen Saga-Übersetzungen zum Teil in die Neuedition einzubeziehen. Kurt Schier und seine Mitarbeiter haben ja auch erstklassige Arbeit geleistet.“
Die Fischer-Edition wird sich vorerst auf die so genannten Isländersagas beschränken, bestätigt Gudmundsson. Die meisten dieser Sagas – die bekanntesten sind die von Njál, Egill und Grettir – sind im 13. Jahrhundert aufgeschrieben worden. Ihre Handlung spielt vorwiegend in der so genannten Sagazeit (930 bis 1030).
„Die anonym überlieferten Isländersagas erzählen objektiv und detailreich von Auseinandersetzungen und Kämpfen zwischen Individuen und Familien, die nicht selten gewaltsam enden. Die Isländersagas stellen eine Einzelperson oder Sippe in den Vordergrund und geben dabei Einsicht in die Vorstellungswelt der Menschen zu jener Zeit, etwa in Bezug auf Respekt, Ehre, Rache und Recht“, heisst es in einer Presseerklärung des Projektbüros Sagenhaftes Island.
Die Isländersagas sind keine einfache Lektüre. Der Leser wird mit einer Vielzahl von Namen und komplizierten Verwandtschaftsverhältnissen konfrontiert. Oft werden Personen eingeführt, die erst im späteren Verlauf der Handlung Bedeutung erlangen. Ein guter Anmerkungsapparat ist schon aus diesem Grund äusserst wichtig. Vorbild für Kommentierung und Register der neuen Edition wird die englischsprachige Gesamtausgabe sein.
Auch wenn die Zeit bis 2011 knapp sei, werde die Qualität nicht leiden, bekräftigt Halldór Gudmundsson: „Denn erstens arbeiten an der Edition zwei hochqualifizierte Herausgeber, zweitens kommt dazu ein Stab von sieben erfahrenen Übersetzern, und drittens wird die Arbeit unter der Obhut einer der besten Verlage Deutschlands, des Fischer-Verlages, gemacht. Eine bessere Mannschaft könnte man sich kaum vorstellen, und alle Beteiligten werden sich um die bestmögliche Qualität bemühen.“