Gestern erlebte King’s Road (Kóngavegur) auf dem Internationalen Filmfest Braunschweig seine deutsche Premiere.
Der zweite Film der isländischen Regisseurin Valdís Óskarsdóttir über die Folgen der Wirtschaftskrise war Publikumsliebling beim diesjährigen Filmfestival in Locarno und erntete auch in Braunschweig viel Applaus.
Junior, der drei Jahre lang ein flottes Nachtleben in Stuttgart geführt hat, muss nach Hause, denn die Zahlungen von Vater Senior sind ausgeblieben.
Fassungslos steht er nun vor der Adresse Kóngavegur 7, einem altersschwachen Wohnwagen auf einem heruntergekommenen Stellplatz an der Peripherie Reykjavíks. Mit im Schlepptau der deutsche Kumpel Ruppert.
Während die englischen Untertitel munter weiterliefen, erlebte das Braunschweiger Publikum ein sprachliches Highlight, das noch nicht wegsynchronisiert ist: Wenn sie unter sich sind, sprechen Junior (Gísli Örn Gardarsson) und Ruppert (Daniel Brühl) deutsch miteinander.
Ansonsten redet man mit dem ruppigen Eindringling Englisch oder stellt Schilder auf, die deutlich machen: Dies ist kein Campingplatz für Touristen!
Wie kommt ausgerechnet Daniel Brühl in diese isländische Tragikkomödie? Valdís Óskarsdóttir, die sich im Anschluss an die Premiere den Fragen des Publikums stellte, gestand, er sei zweite Wahl gewesen.
Junior sollte mit einer Freundin nach Island zurückkehren. Die schwedische Schauspielerin, der Óskarsdóttir die Rolle auf den Leib geschrieben hatte, aber sagte ab.
Da brachte Gísli einen Bekannten ins Spiel, den die Regisseurin nur aus dem Film Good Bye, Lenin! kannte: Daniel Brühl. So entstand die Rolle des Ruppert, für die nun niemand anderes mehr in Frage kam als der deutsche Schauspieler.
Natur pur, Geysire, Wasserfälle und alles, was wir gemeinhin mit Island assoziieren, gibt es in diesem Film nicht. Er spielt ausschliesslich in der Wohnwagensiedlung, einem Abstellplatz für gescheiterte Existenzen.
Und doch ist das keineswegs ein langweiliges Ambiente. Aus den engen Wohnwagen geht es hinaus auf den schlammigen Platz, wo skurrile Gestalten den Verkehr regeln und aus einem Autowrack 60er-Jahre-Klänge und süssliche Rauchwolken quellen. Valdís Óskarsdóttir, die den Film auch geschnitten hat, versteht ihr Geschäft.
Die 60 Jahre alte Regisseurin hat bis 2007 als Cutterin gearbeitet, unter anderem in internationalen Produktionen wie Das Fest. Mit Country Wedding (Sveitabrúdkaup) wagte sie im Krisenjahr 2008 den Sprung in die Regie.
Sie hat Bücher geschrieben, als Übersetzerin und Fotografin gearbeitet und – sie wäre keine Isländerin, wenn sie nicht auch einmal in einer Fischfabrik geschuftet hätte.
Im Mikrokosmos Kóngavegur führt sie uns mit viel Humor vor, wie Isländer, die gewohnt sind hart zu arbeiten, auf die Krise reagieren.
Verfallen die einen in Depression und dem Alkohol, so schaffen sich andere auf Teufel komm raus eine Beschäftigung. Hat frau kein Geld für Wolle, wird kurzerhand der Pullover des Partners aufgeribbelt.
Valdís Óskarsdóttir zeigt, wie Familienstrukturen bei der Jagd nach Geld und Ruhm zerstört wurden und wie die Krise zum Nachdenken über menschliche Beziehungen und Werte zwingt.
Und das alles ohne erhobenen Zeigefinger und so, dass die Zuschauer aus dem Lachen erst herauskommen, wenn es für die meisten Bewohner der Wohnwagensiedlung Zeit ist, den Kóngavegur zu verlassen und nach neuen Wegen Ausschau zu halten.
Bernhild Vögel – [email protected]