Auch an Tag zwei nach der Ministerentscheidung, den Walfang in Island bis zum 31. August auszusetzen, befinden sich grosse Teile der Seemannsbranche in Aufruhr. Vor allem im westisländischen Städtchen Akranes war die Empörung gross, dort veröffentlichte der Stadtrat eine Erklärung, in der kritisiert wurde, dass die Entscheidung unverhältnismässig sei, sowie schlechte Politik, weil erst entschieden wurde, um dann zu untersuchen. Überdies reiche die Meinung des Fachrates für Tierschutz nicht aus, um eine solch schicksalhafte Entscheidung zu rechtfertigen, die sich unmittelbar auf das Überleben vieler Haushalte auswirke. Auch die Stadt selbst ist betroffen, geht sie doch nun mehrerer Millionen ISK an Steuereinkünften verlustig. Der Stadtrat hat die Ministerin aufgefordert, ihre Entscheidung zurückzuziehen.
Wie gestern bekannt wurde, hatten durch das Aussetzen des Walfangs um die 200 Personen ihre Arbeit unerwartet verloren, darunter auch Leute, die eine Stellung extra gekündigt hatten, um das ausgesprochen lukrative Walschlachten über den Sommer auszuüben, sowie Studenten, die sich mit diesem Sommerjob ihr Studium finanzieren. Heute Abend fand eine offene Sitzung von Bürgern, Gewerkschaft und Lokalpolitik statt, zu der auch Ministerin Svandís Svavarsdóttir angereist war.
Hvalur-Chef greift Minister und Fachrat an
Hvalur-Chef Kristján Loftsson hat bislang nur der konservativen Tageszeitung Morgunblaðið ein Interview gegeben, wo er angab, die Entscheidung sei wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen. Er erhob Heimildin zufolge auch schwere Vorwürfe gegen die Ministerin für Fischerei, Landwirtschaft und Lebensmittel: „Was hier vor sich geht, ist, dass ein extremer Kommunist das Lebensmittelministerium kontrolliert und alles außer der Verstaatlichung zu hassen scheint.“
Auch der Fachrat für Tierschutz bekam sein Fett weg. Das Gremium hatte in seinem am 19. Juni veröffentlichten Bericht den Walfang so eingeschätzt, dass es nach heutiger Praktik und aktuellem Wissensstand nicht möglich sei, einen Grosswal im Einklang mit den Gesetzen zum Tierschutz zu töten. Auf diesen Bericht hatte die Ministerin ihre Entscheidung gegründet und verfügt, dass die diesjährige Walfangsaison statt Mitte Juni erst am 31. August beginne. Der Zeitraum bis dahin solle genutzt werden, um Möglichkeiten zu finden, wie man Wale tierschutzgerecht jagen und töten kann.
Kristján bezeichnete den Bericht als „von Experten verfasst, die keine Erfahrung mit diesen Themen haben“. Er wirft dem Fachrat vor, die Sache noch weiter auf den Kopf zu stellen, und bezeichnete den Fachratsvorsitzenden Henry Alexander Henrysson vom Instituts für Ethik an der Universität Island als erklärten Gegner des Walfangs und daher für unfähig, in der Sache zu urteilen.
Fachrat sollte nur eine Frage beantworten
Henry Alexander weist die Vorwürfe zurück. Der Fachrat habe lediglich die Anfang Mai veröffentlichte Studie zu Überwachungsvideos aus der Walfangsaison 2022 samt damit in Zusammenhang stehende Daten sowie andere Daten zum Walfang prüfen sollen. Der Ministerin habe die Überwachungsstudie nämlich für eine Entscheidung nicht ausgereicht.
„Deshalb hat man den Fachrat gebeten, die Sache intensiv zu prüfen und eine einfache Frage zu beantworten: Ob es möglich ist, sicherzustellen, dass ein Wal auf tierschutzgerechte Art und Weise getötet werden kann,“ erklärt Henry Alexander. „Wir sind nach reiflicher Überlegung zu dem Ergebnis gekommen, nein, es ist nicht möglich, das sicherzustellen.“ Diese Antwort sei an die Veterinäraufsichtsbehörde MAST gegangen, und von da aus an die Ministerin. „Wir fällen keine Entscheidungen, und wir haben keine rechtliche Handhabe.“ betont der Ethiker.
Die Antwort des Fachrates sei gut begründet gewesen, ganz anders als die Debatte der letzten Tage, das Interview mit dem Hvalur-Chef sei da beispielhaft. „Er redet um etwas ganz anderes als unsere Argumentation, aber ich glaube, die sollte er sich eher mal genauer anschauen. In gewisser Weise finde ich, wenn er nach zwei Tagen mit nichts Besserem aufwartet, dann bestätigt er damit nur unser Ergebnis.“
Saisonstart war bis zuletzt ungewiss
Die Walfangsaison 2023 hatte zuletzt einem Kopf-an-Kopf-Rennen geähnelt. Nach Bekanntwerden der Überwachungsvideos, in denen zum Teil stundenlange Todeskämpfe von geschossenen Walen zu sehen waren, hatte die Ministerin angegeben, über keine gesetzliche Handhabe für einen Widerruf der Walfanglizenz zu verfügen. Stattdessen hatte sie die Überwachungsstudie an den Fachrat für Tierschutz weitergeleitet und um eine fachliche Einschätzung gebeten. Diese Einschätzung stand noch aus, selbst als Hvalur hf. in der vergangenen Woche unerwartet eine Betriebsgenehmigung für die Schlachtanlage im Hvalfjörður erhalten hatte, wo zuvor von den Gesundheitsbehörden schwerwiegende Mängel in Sachen Umweltschutz festgestellt worden waren.
Die von der Ministerin angeforderte Einschätzung des Fachrates für Tierschutz wurde am 19. Juni veröffentlicht – einen Tag bevor Kristján Loftsson unbeirrt mit seinen beiden Walfangschiffen in See stechen wollte.