Von den acht Blutstuten, die im Sommer 2022 im Rahmen der Blutgewinnung verendeten, ist mindestens eine Stute noch im Fixierstand verblutet oder erstickt, berichtet Heimildin. Diese acht Fälle, soviele wie nie zuvor, seien der Veterinäraufsichtsbehörde MAST gemeldet worden. Mindestens drei Todesfälle ereigneten sich auf dem gleichen Hof. Eine tragende Stute mit Saugfohlen war gleich nach der Blutentnahme im Paddock verendet, sechs weitere in den drei Tagen danach. Die Kadaver waren vor einer möglichen Obduktion vergraben worden. Man habe der Sache daher nicht auf den Grund gehen können, so die Fachtierärztin für Pferdemedizin bei MAST, Sigríður Björnsdóttir.
Schuld liegt bei unerfahrenen Veterinären
Die Todesfälle waren auf Höfen aufgetreten, wo isländische und ausländische Veterinäre in der Blutgewinnung tätig waren. “Es besteht vor allem der Verdacht, dass dort Veterinäre gearbeitet haben, die nicht ausreichend ausgebildet waren,” glaubt Sigríður.
Diese Ansicht teilt Ísteka-Chef Arnþór Guðlaugsson. Fehlende Erfahrung der beteiligten Veterinäre könne noch am ehesten die Todesfälle der letzten Saison erklären, sagte er Heimildin gegenüber. Nach der Berichterstattung um die Blutwirtschaft hätten viele lokale Tierärzte ihren Tätigkeit im Blut aufgegeben und man habe im Ausland nach willigen Arbeitskräften suchen müssen. Drei polnische Tierärzte seien angeworben worden, die aber natürlich angelernt werden mussten, weil es die Blutbranche in Polen nicht gebe. Ausser in Island betreiben nur Argentinien, Uruguay, Russland und China Blutgewinnung aus tragenden und laktierenden Stuten.
“Keine Katastrophe”
Ob die achte Stute verblutet oder erstickt sei, dazu liegen MAST keine näheren Information vor, sagte Sigríður auf Anfrage des isländischen Tierschutzbundes SDÍ. Aber sie sei unter Aufsicht eines unerfahrenen, ausländischen Tierarztes verendet. MAST halte “vorbeugende Massnahmen” jetzt für notwendig. Mit einem Trainingsplan für Neulinge in der Blutgewinnung könne man die Todeszahlen zumindest weiter drücken. Aber auch erfahrene Veterinäre hätten schon Stuten bei der Blutgewinnung verloren.
“Das ist keine Katatrophe, in Bezug auf Todesfälle in der Tierhaltung,” sagt Sigríður über die acht verendeten tragenden Stuten.
Die Ísteka hält eine Blutverarbeitungslizenz der Umweltbehörde, hat sogenannte “Tierwohlverträge” mit den Blutbauern geschlossen und muss nach einem Regelwerk arbeiten, das nach heftiger öffentlicher Kritik im letzten Jahr mit deutlichen Verschärfungen erneuert worden war. Sigríður sieht bei den verbluteten Pferden keinen Verstoss gegen das Gesetz zum Tierwohl.
Mehr tote Pferde vor der Registrierung?
“Das ist absolut untragbar, dass Stuten bei der Blutgewinnung sterben, und die einzige Reaktion von MAST besteht darin, Tierärzte zu einem Kurs zu schicken.” kritisiert Meike Witt, Vorstandsmitglied und eine der GründerInnen des Tierschutzvereins. Seit November habe man die Kontrollberichte der letzten Saison bei der Behörde angefordert, doch erst jetzt, lange nachdem die Informationen anderweitig vorlagen, sei auf mehrmalige Anfrage ein Bericht eingegangen. Gemeldet worden waren die Todesfälle bereits im Herbst.
Der SDÍ hat Meike zufolge von weitaus mehr Vorfällen gehört. “Wir haben den Verdacht, dass Stuten schon vorher wegen der Blutgewinnung verendet sind, dass das aber vor dem letzten Jahr nicht registriert wurde, als MAST mit der Überwachung begann.” sagt Meike. Der letzte Sommer sei daher keine Ausnahme gewesen, was Todesfälle von Blutstuten angehe.
Lukratives Gewerbe mit umstrittenen Methoden
Aus dem Blut der tragenden Stuten wird das Hormon PMSG gewonnen, welches vor allem nach Deutschland in die industrielle Schweinezucht exportiert wird.
Die Blutgewinnung findet im Sommer einmal pro Woche in schmalen Fixierständen statt. Dabei wird die in die Box getriebene Stute am Rumpf gefesselt und ihr Kopf wird an einem Pfosten fixiert, damit sie sich nicht bewegen kann, das Injektionsgebiet wird betäubt, dann wird eine bleistiftdicke Kanüle in die Halsvene gestochen, und fünf Liter Blut durch einen Schlauch in den Kanister abgelassen. Über acht Wochen lang sind das 40 Liter Blut pro Stute, die tragend ist und ein Saugfohlen bei Fuss hat. Im vergangenen Sommer war auf 90 Höfen aus 4,141 Stuten Blut gewonnen worden.
Das bei Isländern weitgehend unbekannte Gewerbe hatte jahrelang Zuwachsraten verzeichnet, bis im November 2021 die Dokumentation einer deutschen Tierschutzvereinigung schlimme Zustände bei der Blutgewinnung aufdeckte. Da wurden Stuten und Fohlen systematisch getreten, mit Stangen geschlagen, misshandelt und von Hunden gehetzt, und immer wieder sah man Stuten mit Todesangst bei der Prozedur im Fixierstand. In Reaktion auf Video und öffentliche Empörung war dann das Regelwerk um die Blutgewinnung verschärft worden. Die im Video agierenden Personen konnten zwar identifiziert werden, im Januar war der Fall aber “aus Mangel an Beweisen” von der südisländischen Polizei einfach zu den Akten gelegt worden.
Alles “im Rahmen”
Jetzt sei das ganze Gewerbe besser überwacht und dokumentiert, so Sigríður Björnsdóttir. Mit den neuen Bestimmungen habe sich auch der Stress bei der Blutgewinnung reduziert, denn statt 100 Stuten dürften nur noch 75 pro Tag bearbeitet werden. Jeder Veterinär dürfe nur noch drei Stuten gleichzeitig im Fixierstand haben, statt zuvor vier, so die MAST-Tierärztin. Weitere Massnahmen über das Training der Veterinäre hinaus seien nicht geplant. Sigríður selbst ist in der Fachaufsicht des Gewerbes tätig. Die Stuten würden am Kopf gefesselt, das sei natürlich “unbequem”, aber es helfe, die Sache kurz zu halten.
Und überhaupt gehe es den Blutstuten von allen isländischen Tieren in der Landwirtschaft doch am allerbesten. Blutstuten seien viel besser dran als Schafe oder Kühe. Auch die von Tierärzten und Humanmedizinern scharf kritisierte hohe Blutmenge sieht sie nicht als problematisch. Pferde verfügten über ausreichende Hämoglobinreserven in der Milz. Die Blutstuten stünden nur auf der Weide, grasten und gäben Milch. Die reite ja niemand durchs Hochland. Deshalb sei es möglich, soviel Blut aus ihnen herauszuholen, so die Veterinärin. Sie habe bei ihren Kontrollen keinen Stress und keine klinischen Symptome gesehen, alles sei da “im Rahmen”.
Von den Überwachungskameras, die der Fachrat für Tierwohl im letzten Jahr in seinem Gutachten empfohlen hatte, hält Sigríður nichts. “Ich habe sehr fähiges Aufsichtspersonal,” sagt sie. “Wir üben viel, viel mehr Aufsicht als in anderen landwirtschaftlichen Zweigen. Und wir fotografieren auch, wenn es nötig ist. Ich denke, das reicht.” Zumal man eine Begründung finden müsse, warum im Blutstutenstall eine Überwachungskamera hängt, im Schafstall aber nicht.
Im vergangenen Jahr war die mangelnde bzw. gänzlich fehlende Aufsichtsführung der Tierschutzbeauftragten von MAST immer wieder kritisiert worden. Bei näherer Prüfung hatte sich herausgestellt, dass die Ísteka sich selbst kontrolliert, und MAST lediglich Stichproben durchführt.
Meike Witt vom SDÍ findet, in Sachen Tierschutz müssten jetzt mal Nägel mit Köpfen gemacht werden. Immerhin habe die Ministerin im Frühjahr gesagt, dass wenn Politik und Lizenzinhaber die Anforderungen zum Tierwohl der Wale nicht gewährleisten könnten, die Branche keine Zukunft habe.
“Wir fordern sie auf, den Worten Taten folgen zu lassen im Hinblick auf die Stuten, die zur Blutgewinnung benutzt werden.”