Mediziner in Island werden demnächst gezwungen sein, sich zwischen dem Landesgesetz oder dem sogenannten hippokratischen Eid zu entscheiden, wenn die Regierung ihre Änderung des Einwanderungsgesetzes durchsetzt, sagte die Vorsitzende des isländischen Ärztebundes in einem Interview mit RÚV. Der Gesetzesvorschlag würde der isländischen Polizei erlauben, körperliche Untersuchungen bei Asylbewerbern zu erzwingen. Vorgestellt worden war die Vorlage von Justizminister Jón Gunnarsson. Sie hatte in der Folge scharfe Kritik von Menschenrechtsorganisationen hervorgerufen.
Erzwungene Untersuchungen verstossen gegen Hippokratischen Eid
„In diesem 19. Artikel, so wie es da steht, erhält die Polizei weitreichende Befugnisse, um Menschen zu zwingen, sich verschiedenen Eingriffen zu unterziehen: medizinische Tests, körperliche Untersuchungen und mehr. Und auch die Aushändigung von medizinischen Aufzeichnungen, bei denen es sich um sensible, vertrauliche Informationen handelt. Das widerspricht vollkommen dem ärztlichen Ehrenkodex,“ sagte Steinunn Þórðardóttir, die Vorsitzende des Ärztebundes.
“Die Genfer Deklaration des Weltärztebundes (die moderne Form des Hippokratischen Eids) lautet folgendermassen: ‘Die Gesundheit und das Wohlergehen meines Patienten wird meine erste Überlegung sein.’ Wir fragen uns, wie diese beiden Dinge zusammenpassen sollen und sehen es tatsächlich als Unmöglichkeit an. Wenn dieses Gesetz verabschiedet wird, stehen wir vor der Wahl zwischen der Einhaltung nationaler Gesetze oder des internationalen Ethikkodex für Ärzte.” erklärte Steinunn.
Ärzte müssten annehmen, eine Abschiebung sei im besten Interesse des Patienten
In ihrem Einwand gegen das Gesetz kritisiert der Verband die geplanten Änderungen scharf. “Wird ein zur Abschiebung bestimmter Ausländer zu einer solchen Untersuchung gezwungen, so ist davon auszugehen, dass er gegen die Abschiebung ist. Personen in dieser Position haben häufig komplexe Probleme, oft aufgrund von posttraumatischem Stress, und werden in Situationen zurückversetzt, in denen sie ihr Leben und ihre Gesundheit als gefährdet ansehen. Durch die Ausstellung der oben genannten Bescheinigung müsste ein Arzt berücksichtigen, dass eine solche Deportation in Befolgung des oben genannten Ethikkodexes im besten Interesse der betreffenden Person wäre“, heißt es in dem Text.
“Respekt vor dem Patienten und gegenseitiges Vertrauen sind die Basis für medizinische Behandlung. Eine Maßnahme wie diese (das Erzwingen einer körperlichen Untersuchung) verstößt gegen die Interessen und Menschenrechte der Patienten und steht unserer Ansicht nach im Widerspruch zur Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen.“